Gerüchte, Verschwörungstheorien, urban legends; gerade in C 19 und social media Zeiten könnte man sich den ganzen Tag damit beschäftigen. Dabei fällt oft das niedrige Bildungsniveau der Verbreiter auf und man wähnt sich unempfänglich.
Weit gefehlt! Folgendes Gerücht hat es bis zum Bundestag gebracht, höher geht es nicht.
Seit Jahren ist auch bei den Juristen KI (Künstliche Intelligenz) in aller Munde. Jeder anständige deutsche Kammerbezirk hat bereits eine Tagung zu dem Thema organisiert. Es wird befürchtet, dass nicht nur der Anwaltsberuf irgendwann durch eine Software ersetzt wird, sondern auch der Richterberuf.
Und so entwickelt sich ein intelligentes Gerücht:
Das Online Magazin „Wired“ stellt am 25.3.2019 einen Artikel unter dem Titel „Can AI Be a Fair Judge in Court ? Estonia thinks so“ (der heute noch abrufbar ist https://www.wired.com/search/?q=%22Can%20AI%20be%20a%20fair%20Judge%20in%20Court?%22&page=1&sort=score, ins Netz. Danach soll in Estland ein Gerichtsverfahren eingeführt worden sein, in dem KI bei Streitwerten von bis zu 7000 Euro ohne menschliches Zutun eine Entscheidung treffen würde.
Der Deutschlandfunk griff diese Meldung auf und berichtete seinerseits am 27.3.2019 in seiner Sendung „KI-Richter in Estland fällt Urteile per Algorithmus.“ Der Deutschlandfunk ist ein öffentlich-rechtlicher Sender, sodass der wissenschaftliche Dienst des Bundestages wohl keinen Anlass zu einer Überprüfung sah und in seinem Gutachten zum Thema „Sachstand: Künstliche Intelligenz in der Justiz-Internationaler Überblick“ den estnischen Robot-Richter in den Bundestag einführte. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages steht den Abgeordneten für ihre Meinungsbildung zur Verfügung und sichert wissenschaftlich fundierte Beschlüsse.
Dem offensichtlich nicht an Mangel an Altersweisheit leidende Prof. Dr. Maximilian Herberger kam das estnische Modell spanisch vor und griff zum Telefon. Er rief im Justizministerium in Tallinn an und erhielt die erhellende Antwort, dass man immer wieder auf den Artikel angesprochen werde, aber die Meldung, man setze Robot-Judges für kleinere Streitwerte ein, schlicht falsch sei. Es werde geprüft, inwieweit AI estnische Richter bei ihrer Arbeit unterstützen könne.
Aus dieser wahren Geschichte lässt sich schließen: Ein Einsatz von natürlicher Intelligenz, wie der von Herberger, kann vieles richtig stellen. Man wünscht sich auch mehr Sorgfalt beim wissenschaftlichen Dienst im Bundestag, insbesondere bei staatstragenden Entscheidungen.
(Die Redaktion hat die Geschichte – kein Gerücht! – aus dem Artikel von Prof. Herberger in NJW-aktuell, 37/2021, Seite 19 entnommen. Sie gehörte eigentlich nicht nacherzählt, sondern einfach abgeschrieben, sie ist wirklich einzigartig).