Im nächsten Mandantenbrief werden wir hoffentlich ausführlich über die Reform des italienischen Zivilprozesses berichten, die am 21. September 2021 bereits vom Senat verabschiedet wurde und am 22.11.2021, dem Tag, an dem unserer Mandantenbrief in Druck gehen wird, vor der Camera verhandelt werden wird. Soweit die Camera dem Senat folgen wird, wird die einschneidenste Änderung die Einführung von Präklusionsvorschriften schon vor der ersten mündlichen Verhandlung sein. Während im bisherigen italienischen Zivilverfahren die erste mündliche Verhandlung eine durchaus unnötige Durchgangsstation darstellt, sollte jetzt als erste Gelegenheit zur Entscheidung des Zivilprozesses genutzt werden. Die Parteien werden angehalten, sämtliche Schriftsätze und Beweisanträge bereits vor diesem ersten Termin einzureichen.
Deutsche Kollegen werden beim Lesen dieser Zeilen sich die Augen reiben, nachdem in Deutschland seit Einführung der Zivilprozessordnung im Kaiserreich nichts anderes gilt. Man kann sogar durchaus eine gegensätzliche Tendenz feststellen. Während die Präklusionsvorschriften nach der ZPO schon zu der ersten mündlichen Verhandlung bis vor wenigen Jahrzehnten so scharf angewandt wurden, dass der junge Rechtsanwalt bereits drei Monate nach Einreichung der Klage ein klageabweisendes Urteil entgegennehmen konnte, sind heute Überraschungsentscheidungen seltener geworden. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu beigetragen, dass die Richter fürsorglicher geworden sind und Rahmen des § 139 ZPO vor ihrer Entscheidung den Parteien Hinweise geben.
Die Reform wird auch zu einer Stärkung der vorgerichtlichen Mediation führen. Beweismittel, die schon in der vorgerichtlichen Mediation erhoben wurden, können im späteren Verfahren verwendet werden. Die Anwendung der obligatorischen Mediation wird auf viele Rechtsgebiete erweitert werden. Die Vergütungsordnung für Rechtsanwälte soll dahingehend abgeändert werden, dass vorgerichtliche Vergleichsschlüsse besonders honoriert werden.
Ein interessanter Nebenkriegsschauplatz betrifft die Reform des Gerichtskostenwesens. Die Reform – beziehungsweise das dazugehörige Haushaltsgesetz – sah ursprünglich vor, dass nach deutschem Vorbild das Gericht erst tätig werden sollte, wenn die Gerichtskosten eingezahlt worden wären. Das hat ein Sturm der Entrüstung bei allen Vorständen der italienischen Rechtsanwaltskammern ausgelöst. Einige Stellungnahmen sind nicht einmal zitierfähig. Vom Raubritterturm des Staates bis zum barbarischen Anschlag auf den Rechtsstaat, vom Zivilprozess als „Salon der Reichen“ war die Rede (Quelle: il Dubbio vom 17.11.2021), auch von „Klassenjustiz“, sodass mit einem Einknicken der Reformisten gerechnet werden kann und die ohnehin niedrigen Gerichtskostenvorschüsse dem Rechtsstaat nicht mehr im Wege stehen werden.
Der Kassationshof hat eine ausführliche Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf abgegeben, die wir Interessierten gerne weiterleiten.