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Handelsvertretervertrag: Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet über entgangene Provisionen und einmalige Provisionen im Rahmen des Ausgleichsanspruches eines Handelsvertreters

Vertriebsrecht

Handelsvertretervertrag: Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet über entgangene Provisionen und einmalige Provisionen im Rahmen des Ausgleichsanspruches eines Handelsvertreters

In seinem Urteil vom 23.3.2023 (C-574/21) hat der EuGH über zwei Fragen entschieden, die ihm der Oberste Gerichtshof der Tschechischen Republik in einem Rechtsstreit, zwischen einem Handelsvertreter und der tschechischen Telefongesellschaft O2, zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.

Dem Gerichtshof wurden die folgenden Fragen vorgelegt:

 1.      Ist der Begriff „[die] dem Handelsvertreter entgehenden Provisionen“ im Sinne von Art. 17 Abs. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen, dass diese Provisionen auch jene Provisionen für den Abschluss von Verträgen umfassen, die der Handelsvertreter mit den Kunden, die er für den Unternehmer geworben oder mit denen er die Geschäftsverbindung wesentlich erweitert hat, abgeschlossen hätte, wenn der Handelsvertretervertrag fortbestanden hätte?

2.      Falls diese Frage zu bejahen ist, unter welchen Voraussetzungen gilt diese Schlussfolgerung auch im Hinblick auf die sogenannten Einmalprovisionen für den Vertragsabschluss?

 

Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, dass der Ausgleichsanspruch auch das künftige Geschäft und die dadurch entgangenen Provisionen ausgleichen muss. Denn beim Ausgleichsanspruch geht es in erster Linie um künftige Vorteile für den Unternehmer, während die entgangenen Provisionen ein aus Billigkeitsgründen zu berücksichtigender Faktor darstellen. Für Geschäfte, die bei Vertragsende bereits abgeschlossen sind, hat der Handelsvertreter in jedem Fall Anspruch auf die Provision. Die "entgangene Provision" muss sich daher zwangsläufig auf künftige Geschäfte beziehen. Die Bestimmung der EU-Richtlinie ist daher dahin auszulegen, dass die Provisionen, die der Handelsvertreter im hypothetischen Fall der Fortsetzung des Handelsvertretervertrags für die Geschäfte erhalten hätte, die er nach der Beendigung dieses Vertrags mit den neuen Kunden, die er vor dieser Beendigung für den Unternehmer vermittelt hat, abgeschlossen hätte, bei der Bemessung des in Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie vorgesehenen Kundenausgleichs zu berücksichtigen sind.

Der Gerichtshof befasst sich sodann mit der Frage der Einmalprovisionen. Im Laufe des Verfahrens stellte sich heraus, dass es sich um eine Pauschalprovision für jeden neuen Vertrag handelte, und zwar sowohl mit neuen als auch mit bestehenden Kunden. Es handelte sich also nicht um eine echte Einmalprovision im engeren Sinne, d. h. um eine einmalige Provision für jeden neuen Kunden, ohne dass für spätere Vertragsabschlüsse eine Provision anfällt. Der Gerichtshof entschied über diese zweite Frage, indem er verneinte, dass die Vereinbarung einer Pauschalprovision den Ausgleichsanspruch ausschließen kann, und erklärte Folgendes:

 

- Die Wahl einer bestimmten Art von Provision, wie z. B. der Einmalprovisionen, kann daher den in dieser Bestimmung vorgesehenen Anspruch auf Ausgleich nicht in Frage stellen. Andernfalls bestünde die Gefahr einer Umgehung dieses in Art. 19 der Richtlinie zwingend vorgesehenen Anspruchs auf Ausgleich.

- Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 86/653 ist dahin auszulegen, dass die Zahlung von Einmalprovisionen nicht dazu führt, dass von der Berechnung des Ausgleichs nach Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 die Provisionen ausgeschlossen werden, die dem Handelsvertreter aus Geschäften entgehen, die der Unternehmer nach Beendigung des Handelsvertretervertrags mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter vor dieser Beendigung für den Unternehmer geworben hat, oder mit Kunden, mit denen der Handelsvertreter vor dieser Beendigung die Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat, abschließt, wenn diese Provisionen pauschalen Vergütungen für jeden neuen Vertrag entsprechen, der auf Vermittlung des Handelsvertreters mit diesen neuen Kunden oder mit vorhandenen Kunden des Unternehmers abgeschlossen wird.

 

Unseres Erachtens ist nicht klar, ob die Entscheidung des EuGH auch für Einmalprovisionen im engeren Sinne gilt, da der Handelsvertreter in solchen Fällen keine Provisionen aus Folgegeschäften verliert.