Der Fall
Am 1.5.2018 eröffnete in Frankfurt am Main erstmals eine Pizzeria namens "Falcone & Borsellino". In der Innenausstattung des Lokals war ein Foto des Schauspielers Marlon Brando in der Rolle des "Paten" ausgestellt, gegenüber dem berühmten Foto von Tony Gentile mit den beiden Richtern, Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, bei einer Konferenz über Mafia und Politik. Ein symbolisches Foto für alle Italiener, eine Aufnahme, die die Freundschaft und das Einverständnis zweier Richter zeigt, die wenige Monate später zerstört wurde, als zuerst Falcone (23.05.1992) und dann Borsellino (19.07.1992) von der Mafia ermordet wurden.
Auf den Tafeln und Speisekarten waren Pizzen dargestellt, die Namen von Mafia-Clans mit Namen von Paladinen der Gerechtigkeit, Schusswaffen und Einschusslöchern vermischten. Es wurden spezielle Angebote für Polizisten und Studenten beworben. In einer Ecke der Website erinnert ein Wikipedia-Text daran, dass die beiden Richter von der Mafia ermordet wurden.
Prof. Maria Falcone, die Falcone-Stiftung und der Fotograf Antonio Gentile werden kontaktiert, um herauszufinden, ob sie sich dessen bewusst sind und ob sie der Verwendung des Namens und der Bilder in diesem Zusammenhang zugestimmt haben. Die Antwort war ein klares Nein!
Damit begann die erste Klage gegen die erste Inhaberin der Pizzeria. Sobald das Gericht eine Entscheidung zu Lasten der Inhaber trifft, schließt die Pizzeria. Sie steht einige Monate still, wird dann angeblich verkauft, und die neue Inhaberin eröffnet sie wieder mit genau der gleichen Einrichtung, dem gleichen Namen usw. Wir fangen wieder von Null an. Es wird erneut eine Abmahnung verschickt, in der die Inhaber aufgefordert werden, den Namen fallen zu lassen und die Hinweise auf Richter Falcone zu entfernen, aber die Inhaber haben kein Schuldbewusstsein.
Der erstinstanzliche Rechtsstreit (Landgericht Frankfurt, 6. Kammer, Az. 2-06 O 322/19)
Im Jahr 2019 begann das erstinstanzliche Verfahren gegen die zweite Inhaberin der Pizzeria. Frau Prof. Maria Falcone und die Falcone-Stiftung - vertreten durch unsere Kanzlei – klagten auf Schutz des Namensrechts nach § 12 BGB und der postmortalen Rechte des Richters Giovanni Falcone, die durch die rein kommerzielle Nutzung des Namens durch die Pizzeria verletzt worden waren.
Die Kläger wiesen die Richter vom Landgericht auf die anerkennenden Worte hin, die das Oberlandesgericht Frankfurt in einer Verhandlung gegen den früheren Inhaber der Pizzeria zu Gunsten des postmortalen Persönlichkeitsrechts von Giovanni Falcone in Deutschland ausgesprochen hatte. Sie legten Stellungnahmen verschiedener Behörden und lokaler Verbände vor, die sich mit dem Thema Kriminalitätsbekämpfung befassen, sowie Arbeiten von Wissenschaftlern und Journalisten, die an die Bedeutung erinnerten, die die Arbeit der Richter Falcone und Borsellino für Deutschland hatte - und immer noch hat -. Es wurden Zeitungsartikel vorgelegt, in denen Falcone und Borsellino Mal ins Gespräch gebracht werden, wenn das Thema Mafia behandelt wurde. Dies reiche jedoch nicht aus, so der Vorsitzende Richter, um die Nachwirkung von Giovanni Falcone auch außerhalb der Fachkreise heute noch feststellen zu können.
Am 25.11.2020 erging ein Urteil, in dem der Antrag der Kläger abgewiesen wurde, weil zu viel Zeit vergangen war und der Kampf gegen die Mafia vor dreißig Jahren ein aktuelles Thema gewesen wäre, aber heute nicht mehr aktuell sei. Richter Falcone sei (nach Ansicht des Gerichts) nur noch Kriminologen und Strafverfolgern eines gewissen Alters bekannt, so dass keine Verletzung der mit der Klage geltend gemachten Rechte vorliege.
Die Schlussfolgerung des Landgerichts war ernüchtern und konnte von denjenigen nicht akzeptiert werden, die wie Prof. Falcone und die Stiftung in ganz Europa Projekte organisieren, um junge Menschen über Legalität aufzuklären und gegen mafiöse Systeme zu kämpfen. Daher wurde beschlossen, Berufung einzulegen.
Der zweitinstanzliche Rechtsstreit (Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 6. Kammer, Az. 6 U 211/20)
Im Jahr 2020 beginnt die Pandemie, und in Deutschland gibt es, wie überall auf der Welt, Zeiten der Betriebsschließung. Nur mit großer Mühe gelingt es, die Gegenpartei die Berufung zuzustellen.
In der Zwischenzeit stellte sich heraus, , dass die Inhaberin in die Insolvenzantrag gestellt hatte; Um das Urteil des Landgerichts nichts rechtskräftig werden zu lassen, haben wir dennoch Berufung eingelegt. Die Inhaber der Pizzeria haben sich dann nicht mehr an dem Verfahren beteiligt.
Am 07.07.2022 fand die erste (und einzige) Verhandlung des Falles vor dem 6. Senat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main statt. Das Gericht führte zunächst in den Sach- und Streitstand ein.
Unter Verweis auf das BGH-Urteil vom 28.9.2011,(Az: I ZR 188/09, in dem der Kläger die Verletzung von Rechten an einem durch seine Vorfahren bekannt gewordenen Namen geltend machte), bestätigte der OLG die Aktivlegitimation von Prof. Maria Falcone und betonte, dass auch die abstrakte Verwechslungsgefahr ausreiche, um Schutz geltend zu machen.
Das OLG bestätigte auch, dass „jedenfalls die Klägerin zu 1) (d.h. Prof.ssa Maria Falcone) sowohl einen Anspruch aus dem Namens recht nach§§ 12, 1004 BGB als auch aus dem postmortalen Persönlichkeitsrecht nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB im Sinne der gestellten Klageanträge hat. Der Senat ist der Meinung, dass eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechtes des Richters Falcone durch die beanstandeten Geschäftshandlungen der Beklagten grundsätzlich zu bejahen ist. Die beanstandeten Geschäftshandlungen stellen sich nach Auffassung des Senats eindeutig als Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Richters Falcone dar, weil sie sein Leben und Wirken konterkarieren“.
Am Nachmittag desselben Tages verkündete das Oberlandesgericht das Versäumnisurteil, in dem die Pizzeria verurteilt wurde, es zu unterlassen, den Handelsnamen "Falcone" allein oder als Teil eines Handelsnamens, insbesondere als Name der Pizzeria "Falcone e Borsellino", auf Schildern, Speisekarten, Werbematerial, im Internet, auf Facebook und auf Instagram im Zusammenhang mit ihrer Geschäftstätigkeit zu verwenden. Die Strafe im Wiederholungsfall ist eine vom Gericht für jeden Verstoß festgesetzte Geldstrafe von bis zu 250.000 EUR und, falls diese nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten.
Die erste Entscheidung des Landgerichts hatte in Italien großes Aufsehen erregt. Man sah diese als Herabwürdigung der Lebensleistung von Giovanni Falcone durch ein deutsches Gericht, sogar die italienische Botschaft musste sich mit diesem Fall befassen. Glücklicherweise hat das Oberlandesgericht diesen begründeten Verdacht wieder zurechtgerückt.